Den folgenden Artikel „Nicht wegducken – machen sie ihr Unternehmen und ihre Mitarbeiter fit für Industrie 4.0“  erschien IS Report 03/2017. Ich habe die Überschrift so belassen, auch wenn die „Sau“ Industrie 4.0 im Moment nicht mehr sichtbar durch die Dörfer getrieben wird.

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Lange wurde über die möglichen Entwicklungen, die Auswirkungen und bei vielen vor allem die Begrifflichkeiten von Industrie 4.0 diskutiert. Nun ist sie da, die Unternehmen haben sich teilweise darauf eingestellt und Produkte und Veränderungen sind entwickelt und im Einsatz. Aber haben sich auch die Mitarbeiter und die Unternehmen als Organisation entsprechend weiterentwickelt?

Vor gerade mal zwei bis drei Jahren köchelte in Deutschland das Thema Industrie 4.0 – oder im internationalen Sprachgebrauch auch Internet of Things (IoT) – noch so vor sich hin. Auf den Messen wurden die ersten Prototypen gezeigt und die Konferenzen waren gespickt mit Folien wie es kommen wird und welche oftmals utopischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Heute sieht es anders aus. Laut einer Bitkom-Studie aus dem Jahr 2016 haben sich knapp 70% der Unternehmen damit beschäftigt, wie man interne Prozesse mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien optimieren kann. Jedoch haben nach wie vor nur 14% der Unternehmen eine Vorstellung, wie sie neue Produkte und Geschäftsmodelle entwickeln. Hier klafft noch eine große Lücke zwischen dem Anspruch, den Möglichkeiten und der tatsächlichen Realisierung.

Auch die Bundesregierung hat die Veränderungen wahrgenommen und Strategiepapiere entwickelt und Foren eingerichtet, um der deutschen Wirtschaft entsprechende Richtungen und Herausforderungen aufzuzeigen.

Eine der grundlegenden Veränderungen durch Industrie 4.0 ist, dass es bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nicht mehr primär um das Produkt an sich geht, sondern sie ein Teil einer digitalen (Software-)Plattform werden. Produkte sammeln Daten, die in der Cloud gespeichert werden und aufbereitet wieder an die Maschine zurückgeführt werden. In der Cloud werden die Daten mit weiteren Daten aufgewertet, analysiert, veredelt und dienen als Grundlage für neue Services, die der Hersteller als Mehrwert an seine Kunden liefern kann.

Bietet der Hersteller einen echten Mehrwert durch die Daten-basierten Dienstleistungen, dann verliert dieser nicht mehr den Kontakt zu seinen Kunden. Gleich ob im Consumer oder im B2B Bereich: Die Bindung zwischen Hersteller und Kunde wird enger und dauerhafter. Hersteller, die diesen und andere Trends der Industrie 4.0 Entwicklungen verschlafen, droht die Gefahr, dass sie an den Rand bei der industriellen Wertschöpfung gedrückt werden und somit zu einem austauschbaren Zulieferer degradiert werden.

In der meist vorhandenen Wertschöpfungskette Hersteller – Vertrieb – Kunde kommt nun der digitale Service in Form einer digitalen Plattform hinzu. Vielen einzelne Arbeitsschritte in Entwicklung, Produktion und Vertrieb werden stärker integriert und automatisiert werden. Computer mit ihren entsprechenden Rechenmodellen und dem Zugriff auf nahezu unendlich vielen Daten werden viele Aufgaben in dieser Gestaltungs-, Produktions- und Lieferkette selbstständig durchführen.

Einige Unternehmen haben diese Entwicklungen bereits vor Jahren erkannt und arbeiten seitdem intensiv daran, sich als Unternehmen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern und ihrer Organisation weiterzuentwickeln. Aber auch kleinere Unternehmen in allen Branchen arbeiten daran, sich entsprechend zu positionieren. Aber noch sind es zu wenige, die sich ernsthaft auf den Weg machen.

Industrieunternehmen werden zu Software-Unternehmen: Und was passiert mit den Menschen?

Welche Rolle haben die Mitarbeiter in Zukunft noch in den Unternehmen? Was passiert mit ihren Aufgaben, die sie bisher übernommen haben? Werden sie überflüssig? Werden sie zu Handlangern, wenn der Computer tatsächlich mal nicht mehr weiterweiß oder die Konfiguration zu aufwendig ist und man es lieber einen dann „billigeren“ Mitarbeiter durchführen lässt?

Schaut man sich die Industrialisierung des vergangenen Jahrhunderts an, gab es diese permanente Optimierung der Prozesse und der sich daraus resultierenden Veränderungen für die Mitarbeiter immer und immer wieder. Es gab stärkere und somit sichtbarer und für viele Menschen schmerzliche Veränderungen. Meist waren die Entwicklungen jedoch nicht so dramatisch und folgten in vielen einzelnen Schritten über einen gewissen Zeitraum. Das Ergebnis war jedoch das gleiche: Am Ende hat eine Maschine, ein Automat, ein Computer oder ein Roboter die Aufgabe übernommen haben. Wer sich die Automobil Produktion des Ford T-Models vor 100 Jahren und die heutige Autoproduktion ansieht, sieht kaum mehr zu vergleichende Arbeitsstätten. Auch die Landwirtschaft war bis vor einigen Jahrzehnten deutlich personalintensiver. Und der Computer ist in vielen Formen (Desktop, Laptop, Tablett, Smartphone) unser ständiger Begleiter geworden.

Duckt euch nicht weg!

Es wird weiterhin zu massiven Veränderungen kommen. In manchen Branchen wird es dramatische Veränderungen geben, z.B. bei den Banken – alles mobil, direkt und ohne eine Bank im bisherigen, klassischen Sinne – oder in der Automobilindustrie – E-Mobilität und autonomes Fahren. In anderen werden die Auswirkungen weniger stark werden, wie zum Beispiel in der Öl- und Gasproduktion. Obwohl auch hier bereits Entwicklungen stattfinden: Wenn der Hersteller weiß, wann die Gasflasche leer ist und das Fußballendspiel ansteht und (von nun an) einen darauf ausgerichteten Service für seine Kunden am Samstagabend beim Grillen bietet, dann war der Schritt in die neue Welt erfolgreich.

Die große Gefahr ist, dass nach wie vor viele Unternehmen, Manager und Mitarbeiter hoffen, dass sie diese Veränderungen nicht betreffen werden. Das ihr Produkt so einzigartig ist, dass weder Google, Apple oder sonst irgendwer aus dem Silicon Valley einen (Werbe-)Markt sieht und die Finger davon lässt. Manch einer rechnet sich schon die Tage bis zur Rente aus, um nicht mehr auf diesen fahrenden Zug springen zu müssen. Übrigens auf allen Ebenen im Unternehmen.

Viele Aussagen über die Entwicklungen der nahen und fernen Zukunft sind noch trübe, aber eines kann man mit Sicherheit sagen: die kommenden Jahre werden von teils massiven Veränderungen geprägt sein. Wegducken geht nicht mehr.

Was bedeutet Industrie 4.0 für die unternehmerische und persönliche Weiterentwicklung?

Die Maschinen übernehmen die komplizierten, planbaren und lösbaren Aufgaben und der Mensch wird immer dann gebraucht, wenn die Aufgabenstellung komplex, nicht planbar und nicht einfach lösbar sind. Das ist heute noch in vielen Bereichen anders, wird sich aber entsprechend im Laufe der Zeit dahin verändern.

Das hat in einigen Bereichen massive Auswirkungen auf die Tätigkeiten und die dafür notwendigen Fähigkeiten und Qualifikationen.

Jedes Unternehmen muss erst einmal für sich klären, wo es in 5 oder in 10 Jahren stehen möchte – im Sinne von sich proaktiv auf den Weg machen und sich nicht treiben lassen. Ein Automobilhersteller wird sicherlich mehr Personen mit Entwicklerkenntnissen und Kenntnissen aus dem Elektronikbereich brauchen statt noch mehr Ingenieure, die die Ventilsteuerung bei Verbrennungsmotoren optimieren. Ebenso werden anderen Hersteller und Branchen für sich prüfen müssen, wo ihre Schwerpunkte in ein paar Jahren liegen werden.

Erfolgreich kann das nur passieren, wenn eine offene und transparente Diskussion über die weitere Entwicklung geführt wird. Es müssen möglichst alle Optionen erdacht und durchgespielt werden. Elementar wichtig ist, dass auch die Akteure zur Diskussion, zum Neudenken und zur Veränderung bereit sind – vom Arbeiter, den Angestellten bis hin zum Management. Das ist jedoch – aktuell und sicherlich auch in den nächsten Jahren – die größte Herausforderung bei der Transformation in die neue, oftmals noch unbekannte Welt. Mut zu haben, über die kommenden Entwicklungen offen nachzudenken und bereit zu sein, neue Wege zu gehen.

Durch die vielen technischen und digitalen Möglichkeiten, kann kaum jemand Voraussagen, wie autonome Autos aussehen werden (und hier ist nicht die Karosserie gemeint). Oder wie soll ein Service für grillende Kunden aussehen, wenn man nun zwar dessen Grillverhalten dank der Sensoren und der Anbindung an die Cloud kennt, aber keinerlei Vorstellung hat, was man mit den Daten macht und wie man dem Kunden einen Mehrwert bieten kann.

Die Zukunft klopft heftig an die Tür

Unternehmen und ihre Mitarbeiter und Manager müssen sich auf den Weg machen und sich den Herausforderungen der nahenden Zukunft stellen. Wenn der Computer und seine technischen Gehilfen viele die Aufgaben übernehmen, brauchen alle Kollegen im Unternehmen Unterstützung und den Willen, sich darauf vorzubereiten.

Talentmanagement, soweit das überhaupt möglich ist, und das Lernen (lernen) spielt wieder eine wichtige Rolle. Hat man sich in der Vergangenheit vor allem ab und an auf neue Aufgaben vorbereitet, müssen nun alle im Unternehmen darauf vorbereitet werden, sich permanent mit neuen und oftmals noch unbekannten Herausforderungen auseinanderzusetzen.

Voraussetzungen, die den Weg der Transformationen ebnen

Im Folgenden einige Punkte, die in der Vergangenheit oftmals nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben – meist waren es nur Lippenbekenntnisse – und die nun aber verändert werden müssen, um erfolgreich zu bleiben:

  • Digitale Kompetenzen aufbauen

Ist die Lieferkette von Amazon tatsächlich Hexenwerk oder was steckt da eigentlich dahinter? Was passiert mit den Daten in den verschiedenen Sporttrackern und welchen Mehrwert bieten sie mir gegenüber einem analogen Schrittzähler und wie kommt dieser Zustande?
Nicht jeder im Unternehmen muss tiefe Kenntnisse über die Digitalisierung haben, aber das grundlegende Verständnis muss vorhanden sein. Ansonsten kann kein Software-Unternehmen entstehen.

 

  • Transparenz schaffen

Unternehmen stellen sich teilweise komplett neu auf und vergessen dabei, ihre Mitarbeiter mit auf diese Reise zu nehmen. Warum? Die Zeiten, in denen irgendwo im Unternehmen irgendwelche Entscheidungen getroffen wurden, sollten vorbei sein. Wenn etwas bewegt werden soll, dann müssen auch alle etwas bewegen wollen! Das geht nur, wenn sie frühzeitig erfahren was sie wohin bewegen sollen bzw. hoffentlich dann auch wollen. Das ist ein wechselseitiges Spiel: Manager müssen aus ihren „geheimnisvollen“ Besprechungszimmern herauskommen und Mitarbeiter müssen aber auch bereit sein, sich den neuen Herausforderungen und Aufgaben zu stellen.

  • Vernetzung ermöglichen

Wenn sie in eine unbekannte neue Welt vorstoßen wollen, dann nutzen sie das Wissen aller im Unternehmen. Sie haben in allen Bereichen Experten sitzen, die viel Wissen, Erfahrung und Kompetenzen haben. Vergeben sie nicht diese großartige Chance und sorgen sie dafür, dass Mitarbeiter untereinander Informationen und Erfahrungen austauschen können.

  • Hierarchien abbauen und Service-Denken im Unternehmen aufbauen

Wenn der Kunde, wie oben ausgeführt, nun (noch) näher an das Unternehmen gebunden wird, dann müssen auch Entscheidungen dort getroffen werden können, wo der Kunde nun ganz nah ist. Führen sie diese Veränderungen am besten überall im Unternehmen durch. Bereiche, die mit den Kunden zusammenarbeiten, brauchen zu ihrer Unterstützung Services im Unternehmen, die ihnen dabei helfen. Aufwendige, verkrustete Entscheidungspyramiden bremsen hier unnötig.

Vergleichbar ist das System der Services moderner Programmierung: Eine Anwendung benötigt eine Information und ruft dazu einen Service auf. Dieser Service liefert entsprechend vorher vereinbarten Regeln die angeforderten Informationen.

So muss es auch im Unternehmen sein: Eine Abteilung benötigt etwas und fordert diesen Service von einem anderen Bereich an. Die Rahmenbedingungen und das Verhältnis sind geklärt und so kann der angeforderte Service seine Aufgabe durchführen und das Ergebnis an die anfordernde Abteilung zurückliefern – kein bitten und betteln, kein rauf und runter die Hierarchie und kein Austausch der Eitelkeiten mehr.

 

  • Flexibilität zulassen

Elektroautos werden aktuell nicht von den großen Herstellern gebaut, sondern von vergleichsweise kleinen Unternehmen. Wenn Computer und Roboter die vielfältigen Aufgaben übernehmen und schnell neu programmiert werden können, dann ergeben sich ganz neue, schnellere Möglichkeiten Services (Dienstleistungen und Produkte) für die internen und externen Kunden zu generieren.

Es reicht nicht mehr aus, einen Prozess durchzuplanen, umzusetzen und dann bis dieser ausgereizt ist unverändert laufen zu lassen. Dort, wo es notwendig ist, müssen Standards, Regeln und Services her. Dann aber auch sauber definiert und umgesetzt und nicht über Generationen „gewachsen“. Dort, wo es möglich ist, sollte das Arbeiten flexibel gestaltet werden: Wo und wann gearbeitet wird ebenso die Art und Weise wie Aufgaben durch den Einzelnen, das Team oder wem auch immer erledigt werden. Wer fremdbestimmt arbeiten muss oder will, kann sehr wahrscheinlich durch Computer ersetzt werden.

 

  • Kommunikation, Kreativität, Innovation und Empathie

Normalerweise brauchen diese vier Begriffe eigene umfangreiche Ausführungen, um erklärt und dargestellt zu werden. Sie haben aber jedoch alle gemeinsam, dass der Mensch in seinem Tun und seiner Interaktion wieder in den Mittelpunkt gestellt wird.

Haben Mitarbeiter bisher vor allem vorgedachte und regelbasierte Tätigkeiten übernommen, werden diese nun von Computern übernommen. Der Mensch kommt überall dort mit seinen Stärken und Fähigkeiten zum Einsatz, wo die Tätigkeit vor allem aus diesen vier genannten Begriffen besteht:

  • Die Kommunikation zwischen Menschen.
  • Das selbständige, kreative Nachdenken über eine Lösung, Verbesserung, Veränderung usw. (und die Möglichkeit, diese auch umzusetzen!)
  • Das Erschaffen von neuen Angeboten, Services, Produkten (nicht jeder ist ein Erfinder, aber jeder kann seinen Beitrag zu etwas Neuem beitragen – das war bisher meist nicht gefordert, gewünscht und möglich)
  • Das Eingehen auf Kollegen, Kunden und all die anderen Menschen, die beim Erfüllen der Aufgabe notwendig sind.

 

  • Lernen, Lernen und nochmals Lernen

War das lebenslange Lernen über viele Jahre nur eine Phrase, wird es immer deutlicher, dass es tatsächlich eine der wichtigsten Aufgaben für die Mitarbeiter eines Unternehmens wird. Mitarbeiter müssen wieder die Verantwortung für ihre persönliche Entwicklung übernehmen. Das müssen viele wieder neu erlernen. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern, die bisher fremdbestimmt gearbeitet und gelernt haben, dabei helfen.

In unserem Lebenslauf haben wir einige Phasen, in denen wir sehr intensiv lernen: Schule, Ausbildung, Studium und später ab und an eine Weiterbildung. Dazwischen ist der Lernpegel eher gering. Das muss sich ändern, lernen muss ein Teil des täglichen Handels werden.

Noch ist es ein langer Weg

Die Entwicklungen rund um Industrie 4.0 sind in vielen Bereichen weit fortgeschritten. Aber in der DNA vieler Unternehmen sind diese Veränderungen noch bei weitem nicht angekommen. Viele denken darüber nach, aber die wenigsten Unternehmen in Deutschland können von sich behaupten, dass sie den Sprung in die Wissensgesellschaft geschafft haben. Auch viele Mitarbeiter und Manager haben noch einen langen Weg vor sich, um gewappnet zu sein im Wettkampf um den Arbeitsplatz mit dem „Computer“.

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